Digitalisierung im Gesundheitswesen
Ob es um unseren Schlaf geht, um die Funktion des Herzens oder um noch bessere Prothesen – bei vielen medizinischen Problemen liefern elektrische Signale die entscheidenden Hinweise und führen den Arzt gezielt von der Diagnose zur Lösung. Doch bisher braucht der Arzt noch eine Menge Erfahrung, um diese Signale richtig auszuwerten und daraus gesicherte Schlussfolgerungen abzuleiten. Ein Problem, das es dank Biometrik und KI schon bald nicht mehr geben wird.
Das Problem ist nämlich, dass Körpersignale selten eindeutig sind, sondern immer von einem „Rauschen“ umgeben sind, das von irrelevanten Fremdsignalen herrührt. Das zeigt sich schon beim alltäglichen Stethoskop. Es nimmt zwar keine elektrischen Signale auf, aber es liefert ein breitgefächertes Geräuschbild, aus dem nur geübte Ohren zuverlässig heraushören können, ob der Patient ein Problem hat und worauf das zurückzuführen ist.
Digitale Diagnosesysteme auf der Basis künstlicher Intelligenz sind mittlerweile dabei, die ärztliche Diagnose gründlich zu verändern und auf eine zuverlässigere Basis zu stellen. Ein Hotspot, an dem solche Systeme erforscht werden, ist das Zentrum für Künstliche Intelligenz (ZKIL) in Lübeck. Dabei handelt es sich um eine Initiative der Universität Lübeck und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH). Teil davon ist eine am Campus Lübeck angesiedelte Außenstelle des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI).
Ich war in der Lage, mit Phillipp Koch über das Thema Biometrie und Künstliche Intelligenz zu sprechen. Er ist Leiter des Forschungszentrums Biometrische Signalverarbeitung und beschäftigt sich mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) zur gezielten Interpretation elektrischer Körpersignale.
Um zum Stethoskop zurückzukehren, wie es jeder Hausarzt verwendet. Es liefert im Prinzip lediglich ein lautes Rauschen, das dem medizinischen Laien überhaupt nichts sagen würde. Selbst er Arzt ist sich nicht immer sicher, ob das, was er dabei herauszuhören glaubt, auch wirklich die Problemursache bestätigt, die er im Verdacht hat. KI ermöglicht es hier, irrelevante Signale herauszufiltern und die entscheidenden Körpersignale deutlicher herauszustellen. Das ersetzt zwar nicht die Erfahrung des Arztes. Aber es gibt ihm ganz erheblich mehr Sicherheit bei der Diagnose.
Ein weiteres großes Thema für KI in der Medizin sind Prothesen. Schon heute benutzt man elektrische Körpersignale dazu, um zum Beispiel gezielte Handbewegungen auszuführen. Doch bisherige Systeme können nur rund 10 Gesten erkennen. Außerdem erfordern sie eine umfangreiche Trainingsphase, bis der Patient in der Lage ist, das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Die KI-Lösungen im Labor sind da schon einen deutlichen Schritt weiter. Sie können mittlerweile bereits 52 Gesten erkennen und erlauben es, diese ohne allzu großen Lernaufwand zuverlässig auszuführen.
Ein weiteres interessantes Anwendungsgebiet für Biometrie und KI sind auch Hörgeräte. Sie haben zwar im Zeitalter der Digitalisierung schon große Fortschritte gemacht. Aber vor allem in lauten Umgebungen haben Schwerhörige noch immer große Probleme, einer Unterhaltung zu folgen. Die Analyse der akustischen Signale mithilfe von KI erlaubt hier nicht nur die automatische Adaption auf unterschiedliche Hörszenarien. Sie bietet auch eine weit intelligentere Einflussnahme auf die Wahrnehmung und stellt damit einen entscheidenden Schritt zu einem besseren Hörerlebnis dar.
Doch KI in der Medizintechnik eröffnet auch völlig neue Perspektiven. So wird es zum Beispiel schon bald bei partiellen Lähmungen möglich sein, den Bewegungsapparat völlig neu zu trainieren, ohne dass dafür jahrelange Therapiesitzungen erforderlich sind. Stattdessen kann der Patient die Therapie allein zu Hause durchführen und erreicht damit einen weitaus schnelleren Erfolg, als das mit konventionellen Therapiesitzungen möglich wäre.
Um im IT-Jargon zu sprechen, wirkt KI gewissermaßen als intelligente Mensch-Maschine-Schnittstelle, die eine reibungslose Interaktion zwischen dem Körper und seinen elektrischen Signalen ermöglicht.
Die Entwicklung bleibt also auch auf dem Gebiet der Medizin spannend und es macht richtig Spaß, zu den Zeitzeugen zu zählen, die von Anfang an dabei sind.