Man muss schon Englisch können, um Deutsch zu verstehen
Sprache war nie statisch. Sie hat sich immer verändert und wird das auch künftig tun. Und sie kann sich ganz gewaltig unterscheiden, je nachdem, welcher Alters- Berufs- oder sozialen Gruppe man angehört. Dass immer mehr Anglizismen in die deutsche Sprache eingeflossen sind, ist ja mittlerweile keinen Kommentar mehr wert. Aber allmählich beginnen selbst die Anglizismen ein Eigenleben zu entwickeln.
Haben Sie schon einmal einen Amerikaner gefragt, ob er sein Handy dabei hat? Sie werden damit vermutlich sein Gesicht in ein einziges Fragezeichen verwandeln. „Handy“, das ist im Englischen ein Adjektiv. „Handy“ kann man auf vielfältige Weise übersetzen: praktisch, handlich, griffig, griffbereit, geschickt. Nur mit einem mobilen Telefon hat das nichts zu tun. Das heißt nämlich nur in Deutschland Handy. Für einen Engländer ist es „my mobile“, ein Amerikaner spricht eher von „my cellular“. Keine Ahnung, warum ein Mobiltelefon hierzulande Handy heißt. Aber aus dem Englischen kommt der Begriff ganz sicher nicht.
Sie sollten es auch vermeiden, ihre amerikanische Freundin zum „Walking“ einzuladen. „Walking“ kennt sie nämlich nicht. Sie kennt „to go for a walk“ und versteht darunter schlicht und einfach einen Spazierengang. Sie wird sich also lässig bis chic für die City oder für eine Runde durch den Park anziehen und ziemlich verwundert dreingucken, wenn Sie mit zwei Walking-Stöcken und Ihrem knallbunten Walking-Outfit zum Treffpunkt erscheinen. Wobei - Outfit - warum hat mir jetzt mein Sprachgefühl gesagt, ich solle diesen englischen Begriff verwenden? Außerdem: Kennen Sie ein deutsches Wort für "Walking"?
Ein weiteres Irritationswort ist der hierzulande recht häufig gebrauchte Begriff „Stress“. Man hat Stress. Man ist gestresst. Es war ein stressiger Tag. Die Arbeit ist stressig. Kinder sind stressig. Alles ist stressig. Und was sagen wir, wenn uns jemand einlädt und wir nicht wollen, dass er eine große Sache draus macht? Klar: „Mach dir keinen Stress“. Aber hüten Sie sich, das einfach wortwörtlich ins Englische zu übersetzen. Google Translate kennt nämlich für das simple Wort „stress“ ganze 14 verschiedene Übersetzungen, die von der Belastung über die Betonung bis zur Hervorhebung reichen. Ein „I have stress“ ist allerdings nicht darunter. So etwas sagt man im Englischen einfach nicht.
Auf eine unter Technikern beliebte Falle bin auch ich eine Zeit lang immer wieder hereingefallen. Es ging dabei um den Begriff „Virtual Memory Management“. Überall in der Fachliteratur stand hier die deutsche Entsprechung „Virtuelle Speicherverwaltung“ und ich habe das irgendwann so oft gelesen, dass ich es einfach nachgeplappert habe. Es klang ja auf den ersten Blick auch logisch. Aber es ist leider völlig daneben. Es geht hier nämlich nicht um eine wie auch immer geartete virtuelle Verwaltung eines Speichers. Es geht schlicht um die Verwaltung des virtuellen Speichers, wie man ihn bei jedem Computer findet. Im Englischen kann die Wortstellung schnell zu Verwirrungen führen, weil nicht eindeutig zu erkennen ist, ob hier „Virtual Memory“ oder „Memory Management“ zusammengehören.
In den 90er Jahren habe ich mich manchmal ziemlich schwer damit getan, für die Inflation an immer neuen englischen Computerbegriffen eine passende deutsche Entsprechung zu finden. Heute macht sich niemand mehr die Mühe. Jeder weiß, wenn von „Post“ die Rede ist, dann ist der Briefkasten draußen am Haus gemeint. Wenn es um eine Mail geht, dann findet man die in der Mailbox.
Dasselbe Phänomen kann man in vielen Bereichen beobachten: Kennen Sie eine deutsche Entsprechung für das englische Wort „Fitness“? Fällt Ihnen spontan ein Equivalent für „online“ ein? Kennen Sie den subtilen Unterschied zwischen Einkaufen und Shopping? Wissen Sie, was ein Dinner von einem profanen Abendessen unterscheidet? Haben Sie noch einen Laptop oder benutzen Sie bereits ein Notebook? Weshalb fahren Sie mit dem E-Bike und nicht mit dem Elektrofahrrad?
Sprache war noch nie logisch. Sprache ist immer im Wandel. Und Sprache war schon immer ein Mittel, um sich von Anderen abzugrenzen. Aber wer heute deutsch sprechen will, kommt ohne Englisch spätestens dann nicht mehr klar, wenn die App ein Setup verlangt oder der PC ein Update vorschlägt und dann auch noch darauf besteht, dass das Ganze mit einem Reset abgeschlossen werden muss.
Wenn ihm im Hotel ein Upgrade zur nächsten Zimmerkategorie vorgeschlagen wird, kann der Nurdeutsche nur hoffen, dass er sich damit keine Mehrkosten einfängt. Zumindest, wenn nicht gerade Lockdown ist und der Check-in ohnehin nicht besetzt ist.