Wozu ein Übersetzer? Es gibt doch Google Translate.
Selbst mittelständische Unternehmen agieren heute international. Sie müssen also zumindest in Englisch kommunizieren, um eine Stimme im Markt zu haben. Nicht nur die Website muss zweisprachig sein, sondern auch jede Produktbeschreibung, jeder Applikationsbericht, jeder Fachartikel und jede Pressemitteilung. Eine Aufgabe, bei der sich viele Unternehmenslenker auf die eigenen Mitarbeiter verlassen. Oder gar auf Google Translate.
Gerade gestern Abend hatte ich wieder einen dieser Momente: Ich war gerade dabei, meine nächste Reportagereise vorzubereiten. Quer durch das französische Kernland soll es dieses Mal gehen, also durch Regionen, die nicht unbedingt im Focus des touristischen Mainstream stehen. So eine Reise muss natürlich gut geplant werden, denn schließlich will man ja nicht an den interessantesten Orten vorbeifahren.
Ich machte mich also auf eine Reise durch die französischen Websites, die es zu praktisch jeder Region gibt, die etwas zu bieten hat. Die meisten davon machen richtig Lust aufs Reisen und reizen dazu, sofort aufzubrechen und hinzufahren. Was mich allerdings immer wieder erstaunte, waren die miserablen Übersetzungen. Manchen wirkten so dilettantisch, dass ich dahinter irgend eine Praktikantin im Tourismusbüro vermutete. Andere waren so daneben, dass ich spontan Kollege Google im Verdacht hatte.
Ein Test brachte es dann auch schnell an den Tag: Google Translate lieferte haargenau die Formulierungen, über die ich gestolpert war.
Wobei es bei vielen Firmen-Websites nicht viel anders aussieht. „Wozu bezahlen Sie einen Übersetzer? Es gibt doch Google Translate.“ Das musste sich vor einiger Zeit die Marketing-Leiterin eines mittelständischen Unternehmens im Automationsbereich anhören. Die Dame war selbst Übersetzerin und wusste natürlich, dass diese Aussage Blödsinn ist. Aber wie sollte sie es ihrem Chef beibringen?
Wir telefonierten über das Problem und heckten eine Lösung aus. Das nächste Projekt war eine einfache Produktinformation. Die übersetzte ich wie bisher mit Kopf und Tastatur. Die Kundin wiederum ließ Google ran und ging mit beiden Ergebnissen zu ihrem Chef. Kurz darauf rief sie mich an: „Wir machen weiter wie bisher,“ lautete das Ergebnis. Das Thema war erledigt und ich hätte mich gewundert, wenn es anders gewesen wäre.
Wobei ich betonen möchte, dass Google Translate und andere Systeme zur maschinellen Übersetzung kräftig zugelegt haben und heute erstaunlich gute Ergebnisse liefern. Auch ich nutze Google Translate, um eine erste Rohübersetzung herzustellen. Die enthält nämlich meist schon mal die richtigen Begriffe und gibt grundlegende Formulierungen vor. Aber die Formulierungen liegen meist sehr eng am Original und werden daher vom Leser als irgendwie unnatürlich wahrgenommen.
Bei einfachen Inhalten lässt sich der Übersetzungsprozess mit einer maschinellen Rohübersetzung durchaus beschleunigen. Da ist oftmals nur hier und da etwas Feinschliff notwendig und der Text erfüllt seinen Zweck.
Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn es um Texte mit komplexen Satzkonstruktionen geht, wie man sie oft in technischen Dokumenten findet. Hier tut sich die künstliche Intelligenz (und darum handelt es sich bei der maschinellen Übersetzung) noch immer schwer, den Inhalt wirklich zu „verstehen“ und den richtigen Sinnzusammenhang herzustellen. Meist liefert mir dann die Rohübersetzung lediglich die richtigen Fachbegriffe, während ich die einzelnen Aussagen sehr kritisch hinterfragen muss und den Text am Besten völlig neu formuliere.
Dazu kommt, dass besonders im Marketing-Bereich eine klassische Übersetzung ohnehin nicht die richtige Lösung ist. Sowohl Google Translate als auch menschliche Übersetzer denken normalerweise in einzelnen Sätzen. Sie sehen ihre Aufgabe darin, ein Ergebnis abzuliefern, das möglichst satzgenau dem Ursprungstext entspricht. Besonders im technischen Bereich arbeiten sie mit CAT-Tools, die Satz für Satz vorgehen und die Übersetzung dann in einer Datenbank speichern, damit sich der Übersetzer bei jeder Wiederholung einer Textpassage die Arbeit sparen kann.
Das mag für technische Beschreibungen oder Bedienungsanleitungen richtig sein. Marketing-Literatur hingegen muss sich flüssig lesen lassen und in möglichst kompakter Form die entscheidenden Botschaften vermitteln. Deshalb spricht man hier auch nicht von einer Übersetzung, sondern von einer Sprachadaption. Sie ist vielleicht nicht satzgenau und damit „genau übersetzt“. Aber sie kommuniziert die entscheidenden Botschaften und das in einem Sprachgebrauch, der genau auf das Sprachniveau und den kulturellen Hintergrund der Zielgruppe abgestimmt ist.
So habe ich es zum Beispiel immer wieder mit amerikanischen Texten zu tun, die voll von Superlativen und hemmungslosem Selbstlob sind. In Amerika ist eben alles „great“ und jede kleine Verbesserung eines Produkts wird als der ganz große technische Durchbruch verkauft. Wenn man eine entsprechend formulierte Pressemitteilung einfach übersetzt, wird das von einer deutschen Zielgruppe schnell als überheblich gedeutet und löst nicht nur positive Reaktionen aus. Also muss man den Text adaptieren. Das heißt, man muss ihn für das deutsche Publikum völlig neu formulieren, ohne dass dabei die entscheidenden Kernaussagen verlorengehen.