Eigentlich ist der Einzelhandel selber schuld
Wenn Politiker zu denken anfangen, kommt meist ein Verbot dabei heraus. Oder sie wollen uns weismachen, dass eine neue Steuer die Lösung ist. Wie zum Beispiel bei der fixen Idee, den Online-Handel mit einer zusätzlichen Abgabe zu belasten, um damit den stationären Einzelhandel zu fördern und die Städte vor der Verödung zu schützen. Dabei sind die Gründe vielfältig und haben nur zum Teil mit dem Online-Handel zu
Der Einzelhandelsumsatz ist immer auch eine Frage der vorhandenen Kaufkraft und genau die ist im Laufe der letzten 20 Jahre beständig gesunken. Während sich die Einkommen nur mäßig nach oben entwickelt haben sind die Preise ganz erheblich gestiegen und der durchschnittliche Konsument kann sich heute erheblich weniger leisten als noch zur Jahrtausendwende.
Dabei hat sich vor allem der Staat als Preistreiber erwiesen. Die Energiepreise in Deutschland sind mittlerweile die höchsten in ganz Europa. Die Regulierungswut der Behörden kennt keine Grenzen und immer wenn ein Beamter den Finger rührt, wird erst einmal eine Gebühr fällig. Das eigene Haus ist für immer mehr Menschen ein unerschwinglicher Luxus geworden. Schon der Weg dahin ist mit Gebühren, Auflagen und Nachweisen gepflastert, die schon mal einen fünfstelligen Betrag schlucken, noch bevor der erste Handwerker loslegen kann.
Anders gesagt: Ein immer größerer Anteil dessen, was die Menschen verdienen, fließt heute nicht mehr über die Ladentheke, sondern in die Kassen des Staates und der Gemeinden.
Wobei sich Letztere als besonders gefräßig erwiesen haben. Die Straßen und Plätze sind längst kein öffentliches Allgemeingut mehr, das jedem Bürger zur Verfügung steht. Vielmehr werden sie heute als Besitz der Gemeinde gesehen, die jeden Quadratmeter Parkraum entweder mit einem Verbotsschild versieht, oder gewinnbringend vermarktet. Das Ganze nennt sich dann Parkraumbewirtschaftung und ist ein Geschäftsmodell mit einem garantierten Jahresumsatz in Millionenhöhe. Mittlerweile kostet ein Besuch in der City mindestens fünf Euro allein fürs Parken. Für das Geld hat man sich früher einen Kaffee gegönnt und damit zum Umsatz der Gastronomie beigetragen.
Die Städte sind damit zunehmend unattraktiv geworden. Wer heute Shopping geht, steuert daher meist ein Einkaufszentrum in der Peripherie an, wo man umsonst parken kann und alles unter einem Dach hat.
Hier in Lübeck gibt es daneben auch zwei Einkaufszentren mitten in der Stadt. Das eine ist seit Jahren so gut wie leer und auch im anderen ist der Leerstand unübersehbar. Karstadt konnte gerade noch einmal gerettet werden. C&A hat schon dicht gemacht und eine Schrottimmobilie hinterlassen, mit der keiner etwas anfangen kann. Selbst die überall gleichen Filialisten verschwinden nach und nach und machen dort ihre Läden auf, wo noch Umsatz gemacht wird.
Und der übrige Handel? Der tut das, was er schon immer getan hat. Er jammert. Er klagt. Er schimpft. Währenddessen macht er immer weniger Umsatz und am Ende heißt es Räumungsverkauf.
Schuld ist natürlich das Internet und all die Online-Händler, die angeblich keine Steuern zahlen, während man selbst ständig steigende Gewerbesteuern und immer neue Abgaben blechen muss.
Aber ist das wirklich so einfach?
Oberflächlich gesehen schon. Aber wenn man sich näher mit der Sache befasst, ist das Problem doch um einiges vielschichtiger.
Das sind einmal die Einzelhändler selbst. Das sind nämlich meist Typen mit einem eher eingeengten Denkhorizont. Meist gibt es den Laden schon seit Jahrzehnten, wenn nicht gar Generationen und man tut noch immer das, was man schon immer getan hat. Während jeder Online-Händler seine Kundendaten festhält und für ein aktives Customer Relationship Management verwendet, hat man im stationären Einzelhandel davon noch nichts gehört. Man öffnet einfach die Ladentür und hofft, dass genügend Kunden kommen.
Werbung findet für solche Unternehmen noch immer in der Zeitung statt - sofern es in dem betreffenden Ort überhaupt noch eine gibt. Von Online-Marketing und Social Media hält man nichts. Das ist schließlich Internet. Das ist Teufelszeug. Davon hat man keine Ahnung und will sich auch gar nicht darauf einlassen. Die meisten Läden haben ja noch nicht einmal eine Website und finden daher in der Cyberwelt gar nicht statt.
In den Anfängen des Internets gab es zahlreiche Startups, die es für eine tolle Idee hielten, den gesamten Handel einer Stadt auf einer Online-Plattform im Web abzubilden. Der Handel müsse künftig ganz einfach im Internet vertreten sein, so die Überzeugung. Also entwickelte man digitale Marktplätze, die es jedem Händler ermöglichen würden, sein Angebot online und offline zu präsentieren, neue Möglichkeiten der Kundenbindung zu nutzen und neue Zielgruppen über das bisherige Einzugsgebiet hinaus anzusprechen.
Doch der Handel spielte nicht mit und das Thema wurde sang- und klanglos begraben. Wie gesagt, das Denken hört meist vor der eigenen Ladentür auf. Auch heute noch.
Einen Grund dafür hat vor ein paar Jahren der Deutsche Einzelhandelsverband ermittel. In einer bundesweiten Befragung kam heraus, dass nur ein Bruchteil der Einzelhändler über ein digitales Warenwirtschaftssystem verfügen. Das heißt, die verwalten ihren Bestand einfach nach Gefühl und bestellen nach, wenn das Lagerfach leer ist. Die Folge davon haben wir alle schon allzu oft gehört: „Ihre Größe ist leider nicht mehr vorrätig.“
Ich habe mich immer gewundert, weshalb der Einzelhandel jahrzehntelang tatenlos zugesehen hat, während die Gemeinden zunehmend daran gearbeitet haben, ihm die Existenzgrundlage zu nehmen. Hier in Lübeck träumt der rotgrüne Stadtrat von einer autofreien Innenstadt mit kleinen Handwerkern und schicken Geschäften, die nur noch zu Fuß oder per Fahrrad zu erreichen sind. Da werden zentrumsnahe Parkplätze mit edlem Pflaster versehen, um dann öd und leer ihre Nutzlosigkeit zu demonstrieren. Wichtige Erschließungsstraßen werden „zurückgebaut“, damit es möglichst mühsam ist, die Innenstadt zu erreichen. Die City wird gezielt unattraktiv gemacht.
Doch vom Einzelhandel ist keinerlei Widerspruch zu hören.
Dabei ist der örtliche Einzelhandel nicht nur in Lübeck ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor. Wenn er geschlossen auftreten würde, könnte ihn daher niemand so leicht übergehen. Aber genau das tut er eben nicht. Er spricht keine gemeinsame Sprache - weil Einzelhändler auch untereinander nicht kommunizieren. Er verfolgt keine gemeinsamen Ziele, weil jeder sich selbst der Nächste ist. Er kommt nicht voran, weil er nicht nach vorne denkt.
Ich habe jahrelang meinen Tee in einem kleinen Laden in der Lübecker Altstadt gekauft. Der alte Herr war wirklich kompetent und immer für ein erhellendes Gespräch zu haben. Aber Technik war nicht sein Ding. Einen Computer hat er nie angefasst. In seinem Laden gab es noch eine alte, mechanische Registrierkasse. Als seine Schwiegertochter den Laden übernahm, habe ich ihr geraten, ihren Tee auch online zu verkaufen. Doch auch ihr war das alles zu kompliziert.
Jetzt gibt es den Laden nicht mehr. Für mich ist damit der letzte Grund weggefallen, in die Stadt zu fahren. Stattdessen bestelle ich meinen Tee bei einem alten Bekannten auf Fehmarn. Der ist eigentlich Surflehrer, aber er hat auch einen kleinen Teeladen mit angeschlossenem Café. Er sagte mir, dass er mittlerweile drei Viertel seines Umsatzes online mache. Ich zähle jetzt ebenfalls zu seinen Kunden. Genauso wie ich Kleidung, Elektronik und auch meinen geliebten Single Malt längst nur noch online beziehe. Ohne Stress. Ohne Schikanen. Ohne Politessen. Ohne Händler, die mich ständig „beraten“ wollen, damit ich etwas anderes kaufe, als ich eigentlich will.